Am kommenden Sonntag ist Holocaust-Gedenktag. An diesem Tag vor 74 Jahren wurde das Vernichtungslager Auschwitz befreit. Mancher wird dann wieder kopfschüttelnd verschiedene Gedenkreden zur Kenntnis nehmen.

„Kann man’s nicht irgendwann mal auf sich beruhen lassen?“.
„Ich kann doch Nichts für das was die Nazis damals getan haben.“
„Da war ich nicht einmal geboren.“
„Wir Deutsche sollen uns wohl lebenslang schuldig fühlen.“

Selbst habe ich diesen Zusammenhang zwischen Gedenkarbeit und dem vermeintlichen Zwang zum schlechten Gewissen nie empfunden. Man muss allerdings zur Kenntnis nehmen, dass diese Wirkung bei manchen Menschen entsteht. Vor allem dann, wenn politische Würdenträger den Holocaust vorschnell und unvorsichtig in die Waagschale werfen, um politische Ziele zu erreichen. Gerne heißt es dann: „Gerade wir Deutsche haben eine besondere Verantwortung und deshalb müssen wir dieses oder jenes tun“. Ist das so? Müsste es nicht vielmehr heißen: Wir Menschen haben eine besondere Verantwortung. Die Verantwortung, dass so etwas – egal wo – nie wieder passiert. Denn es ist eine berechtigte Frage, wieso beispielsweise ein viele Jahrzehnte nach dem Holocaust geborener 30-jähriger deutscher Installateur stärker in der Verantwortung steht als sein französisches oder amerikanisches Pendant.

Druck erzeugt Gegendruck. Und Trotz. Und wenn der Eindruck entsteht, dass Stolz auf die eigene Nation und ein kritischer Umgang mit der NS-Zeit sich gegenseitig ausschließen, dann stellen wir unsere Mitmenschen vor eine unnötige Wahl und machen es dem Populismus noch einfacher. Entweder Stolz oder Gedenken. Man kann wohl ahnen wofür sich viele Menschen dann entscheiden.

Dabei lässt sich beides doch vollkommen problemlos verbinden. Ich weiß um die dunkleren Kapitel unserer Geschichte und trotzdem bin ich stolz auf Deutschland. Gerade auch auf unseren Umgang mit unserer eigenen Geschichte. Anders als beispielsweise die Türkei im Umgang mit dem Völkermord an den Armeniern, haben wir sie nämlich in großen Teilen ernsthaft aufgearbeitet.

Wieso nach so vielen Jahren überhaupt noch Gedenken?

Erstmal: Niemand muss gedenken. Und doch lohnt es diesbezüglich, die zwei folgenden handschriftlichen Einträge zu lesen. Sie stammen aus einem Geheimarchiv des Warschauer Ghettos über das zur Zeit ein sehr guter Dokumentar-Film in der ARD-Mediathek zu sehen ist. Es sind die jeweils letzten Einträge dieser beiden Menschen.

„Auf der Straße wird wie verrückt geschossen. Ich habe gerade gehört, dass das Haus meiner Eltern umstellt ist. Ich werde zu ihnen rüberlaufen und nachsehen, ob es ihnen gut geht… Erinnert euch. Mein Name ist Nahum Grzywacz.

Letzter Eintrag von Nahum Grzywacz
in das Geheimarchiv Oneg Schabbat.

„Ich erwarte kein Lob. Ich möchte nur, dass man sich an mich erinnert. Ich möchte, dass man sich an meine Frau erinnert. Die Malerin Gele Seckstein. In den letzten 3 Jahren hat sie im Ghetto als Lehrerin mit Kindern gearbeitet. Sie hat Bühnenbilder und Kostüme für’s Kindertheater entworfen.   Meine Tochter Margalith ist heute 20 Monate alt. Sie hat richtig Jiddisch gelernt und spricht es fließend. Ich trauere um dieses liebe, kleine, talentierte Mädchen. Sie verdient es auch, dass man sich an sie erinnert.

Letzter Eintrag von Israel Lichtenstein
in das Geheimarchiv Oneg Schabbat.

Diese letzten Wünsche nach schlichter Erinnerung – nicht nach der Erinnerung als Held oder Widerstandskämper – sondern einfach nur als Person, als Mensch, dieser letzte Wunsch offenbart das übergeordnete Ziel der Nationalsozialisten: Nicht nur das jüdische Volk sollte restlos ausgelöscht werden, sondern ebenso die Erinnerung daran. Diese Menschen sollten nie existiert haben.

Diesen – im wahrsten Sinne des Wortes – wahnsinnigen Plan können wir alle noch heute jederzeit durchkreuzen und den Ermordeten so ihren letzten Wunsch erfüllen. Ohne uns dabei selbst schuldig fühlen zu müssen. Durch kurzes Wahrnehmen eines sogenannten Stolpersteins, durch Lesen eines Zeitungsartikels oder einer Gedenktafel oder auch durch das Schauen einer guten Doku. Schlicht: durch kurzes GeDenken.

Quelle der Zitate: https://www.ardmediathek.de/ard/player/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL3JlcG9ydGFnZSBfIGRva3VtZW50YXRpb24gaW0gZXJzdGVuLzI0YzU1YWIwLWIyNmQtNDlkOS1iMDlkLTdhN2UyNTZiNTE3ZQ/

Quelle des Beitragsbildes:
Eigene Fotografie vom Cover des Buches „Auschwitz: Die Geschichte des Vernichtungslagers (edition ost)“

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