Nicht erst die Debatten um Chemnitz zeigen, es muss sich etwas ändern. So richtig und wichtig uns die Appelle an Toleranz und Mitmenschlichkeit auch erscheinen mögen, allein werden sie auf Dauer nicht genügen. Wir, die gemäßigten Kräfte in Deutschland müssen auch endlich etwas verändern. Wir müssen mit der gleichen Vehemenz, mit der wir gegen Radikalismus argumentieren, auch gegen politische Missstände vorgehen, wenn wir nicht immer mehr normale Menschen an wirkliche Rechtsradikale verlieren wollen. Denn zur ganzen Wahrheit von Chemnitz gehört auch, dass einer der beiden mutmaßlichen Täter schon lange hätte legal abgeschoben werden können. Solange wir das als Zivilgesellschaft nur mit einem Schulterzucken hinnehmen, wirken die Appelle und Benefizkonzerte für Rechtsstaatlichkeit, Toleranz und freiheitliche Werte – so gutgemeint sie auch sein mögen – auf viele Menschen unglaubwürdig. Sie verkommen zu hohlen Phrasen und Worthülsen.

Unsere Zeit und die heutigen Problemstellungen sind komplex und für viele Menschen immer schwieriger greifbar. Vielleicht sollte man deshalb erstrecht für einen Moment innehalten und vereinfachen. Mit einem Sinnbild, das auf den ersten Blick so gar Nichts mit Politik zu tun hat.

Betrachten wir Deutschland einmal als Rose. Unsere Errungenschaften und Werte, auch das Asylrecht, das Schutz gewährt, sind eine Blüte, die uns ausmacht, in die Welt strahlt und auf die wir stolz sein können. „Blüh‘ im Glanze dieses Glückes“ heißt es nicht umsonst in unser aller Nationalhymne. In einer perfekten Welt würde das genügen. Doch die Welt ist nicht perfekt. So wie die Rose natürliche Fressfeinde besitzt, gibt es auch viele Menschen, die unsere freiheitliche Demokratie missbrauchen. Dornen sind deshalb auch für unsere Gesellschaft existentiell. Sie sind grundlegend dafür, dass wir auf Dauer bestehen können.

Die Mehrheit will nach wie vor nicht, dass im Mittelmeer Menschen ertrinken. Sie will, dass wirklich Schutzbedürftigen geholfen wird. Sie will nicht, dass wir unsere Werte opfern und sinnbildlich zu einem vollkommen verdornten Gewächs mutieren, wie es manch rechtere Gesellen fordern.

Ebenso müssen aber auch linkere Geister endlich einsehen, dass sich etwas ändern muss. Solange wir als Gesellschaft nicht beginnen an den richtigen Stellen auch viel mehr Härte zu zeigen und solange wir zulassen, dass sich ein Terrorist 14 Identitäten zulegen oder dass ein Asylbewerber falsche Angaben zu seinem Alter machen kann, werden wir unsere Werte dauerhaft nicht halten können. Denn wenn der Rechtsstaat nicht funktioniert, werden jene, die ihn abschaffen wollen, irgendwann in der Mehrheit sein. Dann wird die Gesellschaft irgendwann – und das nicht zu Unrecht – die Geduld verlieren. Dann wird beispielsweise das Asylrecht ganz unter die Räder kommen. Und dann werden wir irgendwann gar niemandem mehr helfen können. Das müssen auch linkere Strömungen berücksichtigen.

Die Lösung liegt also wie so oft in der Mitte. Wir brauchen Blüte und Dornen, wenn wir unser politisches System auf Dauer erhalten wollen. Wir müssen aufhören uns gegenseitig nur als „Gutmenschen“ oder „besorgte Bürger“ abzustempeln – denn wir brauchen beide vermeintlichen Lager, wenn wir verhindern wollen, dass dieses Thema unsere Gesellschaft vollkommen zersprengt.

Aus diesem Leitgedanken ließe sich so viel machen. Denn in der gemeinsamen Ablehnung von Menschenverachtung und Gewalt auf der einen, aber eben auch Asylmissbrauch oder religiösem Fundamentalismus auf der anderen Seite steckt unglaublich viel gesellschaftlicher Konsens.

Ab Montag, wenn der Bundestag aus der Sommerpause zurückkehrt, hätten die Abgeordneten die Chance dazu, endlich zu einem großen, gemeinsamen Wurf über alle politischen Lager hinweg auszuholen. Das wäre so wichtig. Sieht man die letzten drei Jahre seit Beginn der Flüchtlingskrise, so muss man jedoch befürchten, dass es wieder nur bei Symbolpolitik für das jeweils eigene Lager bleibt. Die zunehmende Polarisierung wird so weiter eskalieren. Mit ungewissem Ausgang für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und unsere gesamte Gesellschaft.

Anmerkung: Dieser Beitrag wurde am 06.09.2018 an alle 709 Abgeordneten des 19. deutschen Bundestags verschickt. Meinungen & Ergänzungen gerne als Kommentar oder vertraulich an kontakt@werenoli.de.

Ein Gedanke zu “Politik im Zeichen der Rose.

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